Selbstrespekt
Auf der Basis interdisziplinärer Ansätze verstehe ich Selbstrespekt als Überzeugung einer Person gleichberechtigt zu sein. Verstanden als Verinnerlichung von Respekterfahrungen lässt sich dies in einen größeren theoretischen Rahmen einbetten: Je mehr Menschen (und bereits Kinder) die Erfahrung machen von anderen als gleichwertige Interaktionspartner*innen ernst genommen zu werden, desto einfacher können sie ein Selbstbild verinnerlichen, anderen gleichberechtigt zu sein. Diese Wahrnehmung kann unabhängig von bestehenden, formalen Rechten sein. Auch in einem Land wie Deutschland, in dem alle vor dem Gesetz gleichberechtigt sind, ist es abhängig davon, inwieweit dieses Berechtigungsempfinden durch Respekt durch andere übermittelt wird. Bleibt dies aus, kann es Menschen schwerfallen, Selbstrespekt zu entwickeln. Ich konnte bisher empirisch zeigen, dass die Verinnerlichung eigener Gleichberechtigung damit zusammenhängt, inwieweit Personen in der Lage sind, sich selbst zu behaupten und gegen Ungerechtigkeit zu protestieren. Ohne dieses Bewusstsein gleicher Rechte fällt es Menschen deutlich schwerer, einen eigenen Platz im Leben für sich zu beanspruchen und diesen gegen Eingriffe anderer zu schützen.
Durch diese Verinnerlichung von Gleichberechtigung werden nicht nur eigene Rechte berücksichtigt und geschützt, sondern auch die (gleichen) Rechte anderer mitgedacht. So zeigte sich in meinen Studien, dass Selbstrespekt nur mit sozial verträglichen Formen von Selbstbehauptung und Protest, nicht aber mit aggressiven Formen zusammenhängt.
So zeigt sich in meines neuesten Forschungsergebnissen, dass Menschen mit hohem Selbstrespekt eine positive Einstellung zu Menschenrechten haben, mehr soziale Verantwortung zeigen und auch die Rechte zukünftiger Generationen mitberücksichtigen. Bisher noch unveröffentlichte Daten zeigen zudem, dass Selbstrespekt Toleranz gegenüber Andersdenkenden über die Zeit hinweg vorhersagt. Diese Erkenntnisse aufgreifend entwickeln wir derzeit das Grundschulprojekt „Toleranz im Ranzen – Ausgestattet mit einem starken Selbst in die Schule“ (in Kooperation mit Dr. Sophus Renger, Aylin Oral, Luise Polzin, der Goethe-Grundschule Kiel und der KFT). Ziel ist es durch eine Selbststärkung (u.a. Selbstrespekt) gegenseitige Anerkennung und Toleranz zu fördern.
Aktuell: Bewilligung DFG-Projekt „Verinnerlichte Gleichberechtigung: Antezedenzien und Konsequenzen von Selbstrespekt“
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/458753025
- Interviewt zum Thema Selbstrespekt und Toleranz für einen Artikel zu Toleranz in der FAZ (https://www.faz.net/aktuell/wissen/gesellschaft-19442210.html) (01/2024)
- Interviewt zu Selbstrespekt für die Radiosendung radioWissen von Bayern 2 (Ausstrahlung am 28.02.24)
- Radiointerview mit mir zu Selbstrespekt in der Magazinsendung der Radiowelle hr1 zum Oberthema „Respekt“ (06/2022)
- Beitrag in bzw. interviewt durch Psychologie heute (Ausgabe 09/2020)
- Beitrag in bzw. interviewt durch Psychologie heute (Ausgabe 09/2018)
Selbstrespekt und Verantwortung: Wie individuelle Berechtigungsüberzeugungen und ihr Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Rechte anderer verstanden werden können
Renger & Passini (im Druck)
Menschen haben ein unterschiedliches Verständnis von den (bürgerlichen) Rechten, mit denen sie in modernen Gesellschaften ausgestattet sind. Während die Wahrnehmung, mehr Rechte als andere zu haben, mit überindividualistischen Einstellungen und negativem zwischenmenschlichem Verhalten in Verbindung gebracht wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung, die gleichen Rechte wie andere zu haben (d. h. hoher Selbstrespekt), ein Gleichgewicht zwischen der Berücksichtigung eigener und der Rechte anderer erleichtert. In zwei Querschnittsstudien haben wir gezeigt, dass Selbstrespekt mit einer unterstützenden Einstellung von Menschenrechten und mit der Berücksichtigung der Rechte zukünftiger Generationen zusammenhängt, selbst wenn man andere Berechtigungsüberzeugungen kontrolliert. Die Ergebnisse zeigten auch, dass das Gefühl der sozialen Verantwortung diese Zusammenhänge vermittelt. Die weiterreichenden Konsequenzen für das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten zur Erreichung sozialer Harmonie werden diskutiert.
Warum der Glaube an die eigene Gleichberechtigung wichtig ist: Selbstrespekt, depressive Symptome und Selbstmordgedanken in westlichen und nicht-westlichen Ländern
Renger et al. (2023)
In der vorliegenden Studie wurde der Zusammenhang zwischen Selbstrespekt (d. h. der Überzeugung einer Person, die gleichen Rechte wie andere zu besitzen) und depressiven Symptomen untersucht. In sieben Ländern (N = 2408, u.a. Iran, Südkorea, Spanien) wurde festgestellt, dass Selbstrespekt und depressive Symptome negativ korreliert waren. Darüber hinaus fanden wir Hinweise auf einen indirekten Zusammenhang über den Selbstrespekt sowie negative Korrelationen mit Suizidgedanken in Ländern mit verfügbaren Messwerten. Schließlich bestätigten Meta-Analysen innerhalb des Manuskripts den Hauptpfad zwischen Selbstrespekt und depressiven Symptomen in allen sieben Ländern. Diese Untersuchung liefert den ersten Beleg für den negativen Zusammenhang zwischen Selbsrespekt (das Gefühl, anderen gleichberechtigt zu sein) und depressiven Symptomen und zeigt neue Wege auf, wie das Selbstbild mit psychischer Gesundheit in Verbindung gebracht werden kann.
Sozioökonomischer Status und Selbstanerkennung: Einkommen sagt Selbstrespekt über die Zeit hinweg voraus
Renger et al. (im Druck)
Frühere Forschungen haben gezeigt, dass der sozioökonomische Status (z. B. Einkommen oder Bildung) mit der Selbstanerkennung von Menschen, z. B. dem globalen Selbstwertgefühl, zusammenhängt. In der vorliegenden Untersuchung argumentieren wir, dass der sozioökonomische Status auch die Überzeugung von Menschen beeinflusst, die gleichen grundlegenden Rechte wie andere zu besitzen (d. h. Selbstrespekt). In einer Querschnittstudie (N = 298) und einer Längsschnittstudie (N = 379) untersuchten wir die Beziehungen zwischen Einkommen und Bildung und drei Formen der Selbstanerkennung. Das einzige konsistente Ergebnis war, dass das Einkommen über die Zeit hinweg mit dem Selbstrespekt zusammenhängt, selbst wenn man für Selbstliebe und Selbstwertgefühl, die zentralen und gut untersuchten Komponenten des globalen Selbstwertgefühls, kontrolliert. Wir diskutieren die Bedeutung unserer Ergebnisse im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit und Demokratie.
Zu verschieden, um gleich zu sein: Mangelnder öffentlicher Respekt geht bei stigmatisierten Personen mit einem geringeren Selbstrespekt einher
Martiny et al. (2023)
Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen können in der Öffentlichkeit aufgrund ihrer Behinderung stigmatisiert und wahrgenommen werden. Im privaten Bereich ist dies weniger ausgeprägt, da hier individuelle Informationen vorhanden sind. Wir argumentieren, dass Behinderungen die alltäglichen Möglichkeiten des Einzelnen verringern, im öffentlichen Bereich grundlegende, auf Gleichberechtigung basierende Respektserfahrungen zu machen, und dass sie es daher erschweren, ein hohes und sicheres Maß an Selbstrespekt zu entwickeln (d. h. sich selbst als jemanden zu sehen, der die gleichen Rechte besitzt wie andere). Diese Hypothesen wurden in einer Querschnittsstudie in Norwegen mit 173 Teilnehmenden (51 Männer, 117 Frauen, zwei Transmänner und drei nicht-binäre Personen; Altersmittelwert= 28,00; Altersspanne: 19-77 Jahre) getestet. In Übereinstimmung mit unseren Hypothesen fanden wir bei Personen ohne geistige oder körperliche Einschränkung ein höheres Maß an Selbstrespekt als bei Personen mit geistiger oder körperlicher Einschränkung. Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse, dass sich die Respekterfahrungen je nach Bereich unterschieden. Während sich Personen mit und ohne Einschränkungen in Bezug auf die von ihnen berichteten Respekterfahrungen im privaten Bereich nicht signifikant unterschieden, zeigten sie signifikante Unterschiede in Bezug auf die von ihnen berichteten Respekterfahrungen im öffentlichen Bereich (z.B. Arbeitsplatz, Institutionen). Mediationsanalysen zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Einschränkungen und Selbstrespekt über die geringeren Respekterfahrungen im öffentlichen Bereich erklärt werden könnte.
Verinnerlichte Gleichberechtigung und Protest gegen Ungerechtigkeit: Die Rolle des Selbstrespekts benachteiligter Gruppenmitglieder für kollektive Protestintentionen
Renger et al. (2020)
Neuere Forschungen zeigen, dass Selbstrespekt (definiert als Fähigkeit sich selbst als eine Person mit gleichen Rechten zu sehen) durchsetzungsfähige, aber nicht aggressive Reaktionen auf Ungerechtigkeit in zwischenmenschlichen Kontexten vorhersagt. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Entstehung von Selbstrespekt und seine Konsequenzen für kollektive Handlungs- und Protestintentionen bei Mitgliedern benachteiligter Gruppen. In drei Studien (N = 227, N = 454, N = 131) durchgeführt in unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlichen Stichproben (Diskriminierung von Muslimen in Deutschland; Frauen in Bezug auf Geschlechterungleichheit) sagten Erfahrungen von gleichheitsbasiertem Respekt Selbstrespekt voraus. Darüber hinaus sagte Selbstrespekt in allen drei Studien Absichten für kooperativen oder normativen, nicht aber für feindlichen oder nicht-normativen Protest voraus. Die Ergebnisse zeigen, dass Selbstrespekt das Potenzial besitzt, kollektives Handeln im Angesicht von Ungerechtigkeit zu erleichtern und gleichzeitig positive Beziehungen zwischen den Gruppen zu ermöglichen.
Der Glaube an die eigene Gleichberechtigung: Selbstrespekt als Prädiktor für Selbstbehauptung
Renger (2018)
In der vorliegenden Untersuchung wird Selbstrespekt als die Fähigkeit einer Person definiert, sich selbst als jemanden zu sehen, der die gleichen Grundrechte und die gleiche Würde wie andere hat. Selbstrespekt füllt eine Lücke in der bisherigen Theoriebildung über das Selbst, da er im Gegensatz zu anderen Selbstkonzepten mit Durchsetzungsvermögen und Anspruchsdenken verknüpft werden kann. Selbstrespekt wurde empirisch von Selbstkompetenz und Selbstvertrauen (Studie 1) sowie von psychologischem Anspruchsdenken, globalem Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz (Studie 2) abgegrenzt. Selbstrespekt sagte in zwei korrelativen Studien (Studie 1 und 3) und einem Experiment (Studie 2) durchsetzungsfähige Reaktionen vorher. Wie vorhergesagt, war Selbstrespekt nicht mit aggressiven Reaktionen verbunden, im Gegensatz zu psychologischem Anspruchsdenken (Studien 2 und 3). Es werden Implikationen für die zukünftige Forschung diskutiert.